Günter Bialas

Biographische Notizen von Dr. Gabriele E. Meyer

Geboren wurde Günter Bialas am 19. Juli 1907 im oberschlesischen Bielschowitz. Der Vater, Fritz Bialas war Lehrer und Geschäftsführer des Königshütter und Kattowitzer Deutschen Theaters. Von 1922 bis 1925 Klavier- und Theorieunterricht bei dem Reger-Schüler Fritz Lubrich in Kattowitz. Nach dem Abitur am dortigen humanistischen Gymnasium studierte Bialas in Breslau Musikwissenschaft (bei Max Schneider und Heribert Ringmann) und Germanistik. Von 1928 bis 1933 Studium der Schulmusik an der Preußischen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin. Während seines Berliner Aufenthaltes intensive Beschäftigung mit dem kompositorischen Schaffen u.a. von Hindemith, Krenek, Strawinsky und Kurt Weill. Prägend war außerdem die Mitarbeit im „Kreis der Zwölf“, einer Gruppe von Komponisten um Fritz Jöde, die sich auch für Laienmusiker engagierten. 1933 wieder nach Breslau zurückgekehrt, begann Bialas seine Lehramtsverpflichtung an der Frauenoberschule der Ursulinen. Parallel dazu besuchte er in Berlin eine Meisterklasse für Komposition von Max Trapp (Preußische Akademie der Künste).

1938 heiratete Günter Bialas die Altistin Gerda Specht, Interpretin zahlreicher Werke ihres Mannes schon zur Breslauer Zeit und jahrzehntelang seine „rechte Hand“ für die Reinschrift der meisten Kompositionen. Ein Jahr später wurde Bialas an das Institut für Musikerziehung der Universität Breslau als Dozent für Musiktheorie berufen. Zu den ersten größeren Kompositionen der Zeit zählen u.a. eine Sinfonie in D, die Bolkenhainer Burgmusik, zwei Konzerte und das erste Streichquartett.

Die Zeit nach 1945

Die Einziehung zum Wehrdienst (1941) und die mehrmonatige Gefangenschaft in Remagen führten zu einer jähen Unterbrechung seines kompositorischen Weges. Noch 1945 übersiedelte Bialas nach München und Glonn (Oberbayern). Bei Glonn hatte er im Haus von Freunden auch seine inzwischen aus Schlesien geflüchtete Frau wiedergefunden. Nach einem kurzen Intermezzo in Weimar nahm er im Oktober 1947 den Ruf nach Detmold zum Lehrer für Komposition an (Nordwestdeutsche Musik-Akademie). Doch trotz seiner frühen Erfolge in der alten Heimat fiel Bialas der Neubeginn als Komponist nicht leicht. „Ehe ich mich neu orientieren konnte und einen eigenen Standpunkt fand, ging es überhaupt um die Frage, ob ich noch ein Komponist bin.“ Nach einer Reihe von Stücken, geschrieben vor allem für den Flötisten Kurt Redel, begann Bialas nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten außerhalb der strengen Reihentechnik zu suchen. Er experimentierte mit verschieden geordneten modalen Skalen, die komplexere Zwölftonklänge zuließen, immer allerdings unter der Prämisse, sich nicht auf starre Prinzipien festzulegen. „Ich möchte Ausdrucksmittel und Strukturen so verwenden, wie ich sie jeweils brauche.“ Es entstanden die Indianische Kantate, der Gesang von den Tieren und das zweite Streichquartett, etwas später die Kantate Oraculum, die Orchesterwerke Invokationen und Romanzero, das Chorwerk Im Anfang sowie zahlreiche Lieder und Kammermusikwerke. 

1959 wurde Bialas eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Musik in München angeboten, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1973 innehatte. Kompositorisch näherte sich Bialas der Aleatorik an. Die Thematik im traditionellen Sinn gibt es nicht mehr. Cluster, Intervallspannungen und rhythmische Freiheiten bestimmen nun das Geschehen, kontrapunktisch ergänzt durch spielerische Ausflüge. Kompositionen (Auswahl): Klarinettenkonzert, Cellokonzert, Concerto lirico für Klavier und Orchester, Musik in zwei Sätzen für Harfe und Orchester, Introitus-Exodus“ mit solistischer Orgel, Preisungen nach Martin Buber. Endlich wandte sich Bialas auch dem musikdramatischen Genre zu, obwohl er schon immer gerne Hörspielmusiken, später auch Filmmusiken geschrieben hatte. Auf literarischen Vorlagen fußend entstanden Hero und Leander (1965), Die Geschichte von Aucassin und Nicolette (1969), Der gestiefelte Kater oder Wie man das Spiel spielt (1973/74, 1987) und Aus der Matratzengruft (1990/91) sowie die Musik zu einem Ballett Meyerbeer von John Neumeier. Von den Orchesterwerken sei stellvertretend die Menschenklage Lamento di Orlando für Bariton, gemischten Chor und Orchester genannt. Die Uraufführung am 21. März 1986 mit Wolfgang Brendel und den Münchner Philharmonikern leitete Sergiu Celibidache, Bialas’ Freund aus Berliner Studientagen.

Kein Ton zuviel

Ein Wesensmerkmal des Bialasschen Komponierens der letzten Zeit lag in dem über viele Jahre entwickelten und intendierten ganzheitlichen Klangsatz. Hier fand er zur äußersten Konzentration, zu tiefer Besinnlichkeit, zur größten Einfachheit. Davon sprechen u.a. auch die Trauermusik die Dryadenklage, das vierte und fünfte Streichquartett und das Trio Phönix. Günter Bialas starb, hoch geehrt und geachtet, am 8. Juli 1995 in Glonn, nur ein Vierteljahr nach dem Tod seiner Frau am 16. April. – Bialas war sicherlich kein Revolutionär, kein Wegbereiter. Aber er saß, wie Heinz Friedrich einmal sagte, nicht zwischen allen Stühlen, sondern sicher und fest auf seinem Stuhl.